Seit Wochen und Monaten vergeht kein Tag, an dem nicht vom britischen Chaos berichtet wird. Sehr häufig wird dabei auf eine Notsituation hingewiesen, auf ein drängendes Problem, das unbedingt eine Lösung sucht. Diese Dramaturgie hätte man nicht besser verfassen können. Und trotz aller Spannung, aller Verträge und Austrittstermine, die Briten sind immer noch in der EU. Was wäre, wenn alles nur ein ganz großes Theater wäre, bei der das Publikum unterhalten werden soll?
Stellen Sie sich vor, die Briten wollen gar nicht aus der Europäischen Union (EU) raus. Das ist gar nicht so abwegig, denn die Politik und die Wirtschaft haben gute Beziehungen zur EU. In dieses Dilemma sind die Briten nur geraten, weil sie (ausnahmsweise) das Volk gefragt haben. Und nun haben sie den Salat. Das Volk hat falsch gewählt und für einen Brexit gestimmt. Damit hatte niemand gerechnet. Die Politik fühlt sich bestätigt, dass man das gemeine Volk nicht nach seiner Meinung fragen darf. Ist es doch zu unerfahren und zu wenig gebildet, um die Tragweite seiner Entscheidungen zu verstehen. Der Bürger will also einen Austritt aus der EU, die Politik und die Wirtschaft jedoch nicht. Was also tun, um den Schein zu wahren, dass man die Meinung des Volkes respektiert und dennoch einen Austritt vermeidet? Man führt ein Theaterstück auf.
Und so geht das Bühnenstück. Man verhandle jahrelang auf Kosten des Steuerzahlers und verfasse einen Austrittsvertrag, dem Großbritannien nicht zustimmen würde. Die EU, die ebenfalls ein Interesse an dem Verbleib der Briten hat, spielt ihre Rolle und malt ein Schreckensszenario, welche grausamen Nachteile ein Austritt mit sich bringen würde. Man spricht von Massenarbeitslosigkeit, Lebensmittelknappheit und der Unterversorgung mit Medikamenten für den Fall einer Trennung. Selbstredend, dass die EU versucht, dass die Briten nicht aus der Gemeinschaft herauskommen. Man stelle sich nur vor, ein Austritt würde gelingen, und den Briten ginge es danach gar nicht schlechter. Schnell würde der Austrittsgedanke bei anderen EU-Ländern Gefallen finden.
Alle spielen ihre Rolle und unterhalten die Menschen auf der Welt. Die Hauptrolle erhielt die geplagte Dame May, die einem schon leidtun kann. Wie sie sich da müht und einfach keinen Erfolg hat. All die Termine bei der EU, all die Diskussionen im britischen Parlament mit der heiseren Stimme. Was hat die Frau nicht alles unternommen und die Meinung des Volkes durchzusetzen. Die Sympathie der Zuschauer hat die Hautdarstellerin gewonnen. Dennoch gibt es keine Abspaltung. Warum? Weil ein Austritt Großbritanniens zu keinem Zeitpunkt im Drehbuch vorgesehen war. Daran gibt es auch keine Zweifel, denn für den 29.03.2019 war der Austritt vorgesehen. Und was ist passiert? Nichts! Trotz jahrelangen Verhandelns steht man am Ende vor gar nichts. Sie wissen schon, keiner der Beteiligten wollte jemals einen Austritt.
Jetzt ist der ursprüngliche Austrittstermin auf den 12. April verschoben worden, aber auch dieser ist selbstredend wenig konkret, denn dafür müsste der Austrittsvertrag der Premierministerin May im britischen Parlament angenommen werden. Dieser wurde jedoch schon zweimal abgelehnt und obwohl alle Zuschauer von dieser Vertragsdiskussion gelangweilt sind, wurde er noch einmal hervorgeholt. Am letzten Freitag wurde er ein drittes Mal abgelehnt. Das verwundert natürlich nicht, sofern man die Absicht der Beteiligten kennt.
Der aktuelle Stand ist, dass die Briten den Vertrag, so wie er ist, nicht annehmen wollen. Ohne einen Vertrag wollen sie die EU aber auch nicht verlassen. Hier merkt der kluge Beobachter, dass das eine das andere bedingt. Die EU sagt, einen anderen Vertrag bekommt ihr nicht und damit steuern wir auch schon auf das letzte Kapitel dieses Bühnenstücks zu.
Den Briten bleibt nun nichts anderes übrig als wieder einmal um einen Aufschub zu bitten, denn so wahrt man das Gesicht vor dem britischen Volk. Und die EU, die zu keiner Zeit die Briten von der Angel lassen wollte, wird natürlich Entgegenkommen signalisieren. Man wird sich auf einen deutlich späteren Austrittstermin einigen und der Brexit, so wie wir ihn jetzt beobachten konnten, wird in Vergessenheit geraten. Die Briten werden an der EU-Wahl teilnehmen. Sie bleiben Teil der Europäischen Union, und wenn kein unerwartetes Ereignis eintritt, wird man den Austrittswunsch still und leise zurücknehmen.
Die Schlussfolgerung ist daher, dass das europäische Volk jahrelang durch ein Schauspiel bei Laune gehalten wurde, dessen Höhen und Tiefen von Anfang an festgestanden haben. Die EU lässt kein Land aus der Union austreten. Sie hätte ihr Ziel erreicht. Die britische Regierung wollte ebenfalls nie aus der Europäischen Gemeinschaft heraus. Auch sie hat ihr Ziel erreicht. Allein der britische Bürger hat das Nachsehen. Er wurde durch ein Theaterstück verzaubert, tauchte in die Geschichte ein und glaubte sogar, die Darsteller würden wirklich für ihren Austrittswunsch kämpfen. Dabei ist alles nur ein Schauspiel gewesen.
Der Autor dieses Artikels hat das Buch „Verstehen Sie Geld?“ verfasst. In seinem Sachbuch erklärt er die Zusammenhänge in Politik und Wirtschaft. Warum ist alles so, wie es ist? Und wieso dreht sich alles nur ums Geld? (Erfahren Sie mehr).
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
start-trading Team